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Wie man eine App für Menschen entwickelt, die fernab vom Smartphone groß geworden sind

Starthilfe für Technik-Neulinge – digital dabei sein

Smartphones sind aus unserer Gesellschaft nicht mehr wegzudenken. Doch was ist mit all jenen, die sich mit dieser Entwicklung schwertun und beim Umgang mit digitalen Geräten noch am Anfang stehen? Im Auftrag des Büros für Medienbildung (BfM) haben wir die App „Starthilfe – digital dabei” der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) technisch umgesetzt.

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Fakten & Eckdaten

Technologien
Flutter, Fastlane, BLoC-Pattern, SQLite
Team-Setup
2 Mobile Engineers
1 Product Owner
1 Scrum Master
Laufzeit
März 2021 bis Oktober 2021
Wir nutzen sie als Wegweiser, planen und bezahlen unsere Einkäufe damit, tracken unsere Sportaktivitäten, hören Musik oder schauen sogar Filme darauf. Schon lange sind Smartphones mehr als nur Telefone und mit der Digitalisierung kommen weitere Aufgaben für unsere täglichen Begleiter hinzu. Im Jahr 2022 soll die „Zettelwirtschaft” beim Arzt wegfallen. Stattdessen bekommt man das Rezept als QR-Code, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) wird direkt in digitaler Form an die Krankenkasse geschickt. Dabei gibt es einen erheblichen Anteil an Menschen in unserer Gesellschaft, der große Schwierigkeiten mit der Nutzung von Smartphones und Tablets hat und beim fortschreitenden Technologiewandel nicht mehr mitkommt.
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Dieser Herausforderung hat sich die Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (LFK) angenommen und startete eine öffentliche Ausschreibung für die Erstellung einer Lern-App für Ältere. Die BfM Büro für Medienbildung gGmbH entschied diese Ausschreibung für sich. Für die technische Umsetzung haben sie nach einem kompetenten Partner gesucht, der technisch versiert auf dem Gebiet der mobilen App-Entwicklung ist. So kam es, dass wir eines Tages digitale Post von unseren Darmstädter Kolleginnen und Kollegen bekamen. Mit einem ernsten „Wir müssen reden“ begann die Nachricht – dieser Spannungsbogen löste sich jedoch augenblicklich, nachdem das BfM uns äußerst charmant zu einem „Get Together“ eingeladen hat (natürlich Corona-konform). Gesagt, getan: In unserem ersten gemeinsamen Termin konnten wir das BfM von uns überzeugen und starteten bald darauf in das Festpreisprojekt.
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Nutzerzentrierte App-Entwicklung

Bei der Zielgruppe handelt es sich um Menschen, die nicht mit Smartphone und Tablet aufgewachsen oder als junge Erwachsene in das Thema hineingewachsen sind. Das sind hauptsächlich Menschen im Seniorenalter. Entsprechend hoch ist die Einstiegshürde der Nutzergruppe, ein Endgerät überhaupt erst in die Hand zu nehmen. Und genauso schnell stellt sich Frustration bei Seniorinnen und Senioren ein, die sich überfordert fühlen. Um ihnen diese Ängste zu nehmen, wurde die App „Starthilfe – digital dabei“ entwickelt – eine Lernhilfe, mit der Nutzerinnen und Nutzer behutsam und Schritt für Schritt durch einzelne Module geleitet werden. Dabei unterstützen ausführliche Erklärtexte und -videos.
Die Starthilfe-App bietet Älteren eine reduzierte und spielerische Lernumgebung, die Berührungsängste mit mobilen Geräten wie Smartphone und Tablet langsam abbaut und gleichzeitig die Begeisterung für eine zunächst unbekannte Technik weckt. Mit Blick auf die vereinfachte Darstellung der Lerninhalte wurden auch das Design und Bedienelemente von Grund auf individuell an die spezielle Nutzergruppe angepasst. Standard-UI-Elemente, wie ein Burger Menü, Buttons, Eingabefelder, Suchleisten oder Checkboxen mussten vereinfacht und so intuitiv wie möglich gestaltet werden. Die Herausforderung bei der Starthilfe-App lag darin, sich vollkommen auf die Bedürfnisse der Nutzer einzustellen und auf Standard-Bedienelemente (Checkboxen etc.) zu verzichten, weil sie diese Elemente nicht bedienen können. Wo es uns möglich war, haben wir (in Abstimmung zum Design) Bedienelemente in vereinfachter Form dargestellt, angepasst oder bewusst weggelassen. Bloß, wie ist das zu bewerkstelligen?

Nutzerzentrierung bedeutet, Annahmen zu treffen und diese auch zu validieren

Nutzerzentrierung beginnt damit, sich Gedanken über Nutzerinnen und Nutzer zu machen und Annahmen über mögliche Verhaltensweisen zu treffen. Oft bleibt es aber bei spekulativen Thesen, die im Nachgang nicht validiert werden. Und um die verständliche und zielgruppengerechte Vermittlung der Inhalte und Übungen der App sicherzustellen, braucht es Nutzertests. Zu diesem Zweck hat das BfM drei Nutzertests mit älteren Technik-Neulingen durchgeführt.
Durch die frühen Nutzertests haben wir wertvolle Erkenntnisse gewonnen, die wegweisend für die Weiterentwicklung der App waren. Die aufschlussreichsten Ergebnisse waren:

1. Die angesprochene Zielgruppe hatte Schwierigkeiten mit der Geste „Tippen“. Diese Geste war ursprünglich Teil des ersten Lernmoduls.
Lösung: Damit die Person sich durch die App navigieren kann, um zu Lernmodul 1 zu gelangen, muss sie mindestens tippen können. Daher wurde die Bediengeste „Tippen“ ein Teil des Intros. Um weiterer Überforderung vorzubeugen, haben wir zudem in den ersten Screens auf weitere Gesten, wie beispielsweise das „Scrollen“, verzichtet.

2. Der klickbare Bereich von Buttons in Standardgröße ist für die Zielgruppe zu klein. Die Testpersonen brauchten mehrere Anläufe beim Tippen auf klickbare Elemente.
Lösung: Wir haben die Klickbereiche im Hintergrund erweitert, sodass Nutzerinnen und Nutzer trotz „Vertippen” die gewünschte Aktion auslösen können.

In vier Modulen spielerisch zum Smartphone-Experten

Die Starthilfe-App besteht aus einem Intro und vier Modulen mit zunehmenden Schwierigkeitsstufen. Dabei lernen Anwender spielerisch Gesten wie Tippen, Wischen sowie Elemente übers Handy zu ziehen oder in Bilder oder Landkarten rein- bzw. Rauszuzoomen. Informative Texte, Videos und eine begleitende Audiohilfe erklären Schritt für Schritt, was Anwenderinnen und Anwender als nächstes erwartet. Besonders die Videoreferenzen Gleichgesinnter unterstützen dabei, den Ängsten der Nutzerinnen und Nutzer vorzubeugen. In den weiteren Modulen machen sich die Anwenderinnen und Anwender mit dem Gerät vertraut. Welche Anschlüsse und Tasten hat ein Gerät und wie benutzt man eine Tastatur per Touch? Was ist WLAN und wie schaltet man solche Datenverbindungen ein bzw. aus? Was sind eigentlich Apps und wie lädt man sie herunter?

Das vierte Modul hat die höchste Schwierigkeitsstufe. Nachdem sich die Nutzerinnen und Nutzer alle wichtigen Basics am Smartphone angeeignet haben, lernen sie im letzten Modul das Kommunizieren über Messenger-Dienste. Dazu haben unsere Entwickler einen stark vereinfachten Chatbot ohne KI programmiert, der in der Lage ist, auf festgelegte Eingaben zu reagieren. Eingaben über den festgesetzten Rahmen hinaus werden nicht verarbeitet und erneut abgefragt.
Starthilfe-App Gerät bedienenStarthilfe-App Tippen_SelbsteinschaetzungStarthilfe-App HauptmenüStarthilfe-App Messenger

Wie man mit einem Labyrinth wichtige Smartphone-Gesten erlernt

Das Highlight der App ist der Empathie basierte Gamification Ansatz, um Lerninhalte zu vermitteln. Durch die interaktiven Spiele werden schwer verständliche Bildungsthemen attraktiver gestaltet und lassen Nutzerinnen und Nutzer im besten Fall vergessen, dass sie sich gerade weiterbilden. Einen zusätzlichen Ansporn gibt die Erfolgsanzeige in Form von Sternen. Für jeden gelesenen Text, jedes angesehene Video und jede bestandene Übung bekommt man einen Stern. So werden Nutzerinnen und Nutzer zu Spielern, deren Motivation und Interessen stets im Mittelpunkt der App-Gestaltung stehen. Es geht hierbei nicht rein um das Sammeln von Sternen und Abschließen von Aufgaben. Vielmehr liefert der gamifizierte Ansatz spannende Impulse beim Vermitteln von Lerninhalten. Die Idee dazu lieferte das BfM in Abstimmung mit den externen Designern, während wir uns vor allem auf die technische Umsetzung konzentrierten.
Im Labyrinth-Spiel lernen Nutzer, ein Element hin- und herzuziehen. Über Richtungspfeile navigieren sie eine Figur mithilfe der Geste „Tippen” zum Zielpunkt. Die Module haben wir abstrakt konzipiert, sodass gleichartige Aufgabentypen aus Bausteinen wiederverwendet werden können, zum Beispiel Infoseiten oder der generelle Aufbau eines Moduls. Es gibt auch wiederverwendbare Übungen, zum Beispiel Multiple-Choice-Tests. Für die individuelleren Übungen wie das Labyrinth oder auch das Kreuzworträtsel gibt es keinen vorgefertigten Baukasten. Sie könnten beinahe das Ausmaß eigenständiger kleiner Applikationen einnehmen, wenn sie ein paar mehr Level und Features bekämen.
Starthilfe-App LabyrinthStarthilfe-App KreutzworträtselStarthilfe-App Mücken Übung

App-Hintergrund wächst mit der Schriftgröße

Die User Experience zielt deutlich auf den Gamification-Charakter der App ab. Durch das spielerische Erlernen von Gesten bestehen die Widgets nicht aus Standard-UI-Komponenten, die in Layout Managern zusammengebaut werden und somit ohne Zutun für viele Display Größen einsetzbar sind. Für die Starthilfe-App haben wir zwei App-Versionen gebaut: Eine Smartphone-Variante, ausgehend vom kleinsten unterstützten Gerät (iPhone SE, erste Generation), auf das wir die Textelemente zugeschnitten haben. Für alle anderen Endgeräte war dann mehr Platz am Rand. Die Tablet-Variante ist ein Pendant mit anderen Größenverhältnissen gegenüber der Smartphone-Version, ohne extra Gimmicks und nur für das Hochkantformat optimiert. Eine technische Herausforderung war, die Schriftgröße größer stellen zu können, und sie trotzdem noch in das Notizenlayout passen zu lassen. Die Schrift sollte nicht einfach größer werden, sondern entsprechend mit den Linienabständen des unterlegten Notizzettels wachsen. Deshalb bauen sich die Blocklinien der Starthilfe-App dynamisch auf und wachsen im Verhältnis zur Schriftgröße.

Offline-App mit Asset Delivery

Eine Anforderung an die App war, dass sie komplett offline nutzbar sein soll. Sie benötigt keinen Zugriff auf das Internet und versendet deshalb keine Daten. Das ist überwiegend der Nutzerzentrierung zuzuschreiben:
Die Seniorinnen und Senioren laden sich die App einmalig herunter. Eine Offline-App kommt ohne Datenverbindungen aus, wodurch der älteren Nutzergruppe ein niederschwelliger Einstieg zur App ermöglicht wird. Indem wir den Faktor einer etwaigen Überforderung ausgeschlossen haben, können die Nutzer die Bedienung und den Funktionsumfang des eigenen Geräts in aller Ruhe kennenlernen. Außerdem fallen keine laufenden Kosten an, weil keine Daten auf einem Server gespeichert werden. Zuletzt besteht auch aus Datenschutz-Sicht keinerlei Risiko.
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Insbesondere die Grafiken und Erklärvideos machen den Reiz der App aus, stellten uns aber gleichzeitig vor eine technische Herausforderung. Damit einzelne Apps nicht zu großzügig mit dem Speicher eines Smartphones oder Tablets umgehen, geben die App Stores ein Speicherlimit vor. Für das Betriebssystem iOS beträgt das Limit 2GB und unsere App lag damit im Rahmen. Android limitiert die Größe einer App auf 150MB – eine Begrenzung, die wir trotz Optimierungen der Dateiengrößen knapp überschritten haben. Insbesondere die angesprochenen Erklärvideos beanspruchen ordentlich Speicher auf dem Endgerät.
Typischerweise würde man die Dateien auf einem Server speichern. So wäre die App beim Herunterladen nur wenige Megabyte groß und Nutzerinnen und Nutzer könnten sich stückweise die benötigten Dateien herunterladen. Weil die App komplett offline nutzbar sein sollte, schied diese Option aus. Deshalb haben wir uns für einen technischen Kniff entschieden: Asset Delivery. Auch hier ist das Ziel die Erstellung einer möglichst schlanken App für die Distributionsplattformen. Der Unterschied liegt im Downloadprozess - Alle Assets werden mit Download der App einmalig nachgelagert heruntergeladen, wodurch sie später offline funktioniert. Die App bekommt sozusagen einen „Rucksack“ für Assets wie Bilder und Videos. Da es für Asset Delivery für Flutter-Projekte bisher keinen guten Lösungsansatz gab, hat unser Mobile-Team bestehende Tools so umfunktioniert, dass Asset Delivery sinnvoll in Flutter nutzbar wird.

Eine App, die zur gesellschaftlichen Teilhabe beiträgt

Das Projekt der Starthilfe-App lag uns besonders am Herzen. Zum einen natürlich, weil wir einer ganz besonderen Personengruppe mit dieser App die Teilhabe an vielen für uns selbstverständlichen Aspekten des Lebens ermöglichen. Zum anderen war es für uns eine ganz neue Herausforderung, diese spezielle Zielgruppe mit ihrem nicht vorhandenen Vorwissen sicher und intuitiv durch die App zu leiten. Dafür haben wir vermeintlich Altbewährtes neu gedacht und gemeinsam mit dem BfM eine selbsterklärende Nutzerführung realisiert. Hinzu kamen die kleinen spielerischen Übungen und Elemente, die aus einer reinen Lern-App ein echtes Lern-Erlebnis machen. Statt einfach nur Informationen durchzulesen und repetitiv zu lernen, bieten Spiele wie das Labyrinth und das Kreuzworträtsel Abwechslung und erhöhen den Spaßfaktor und die Motivation, dranzubleiben.
Was wir besonders lieben, sind diese kleinen Denksportaufgaben in Projekten, für die man nicht Standards anlegen kann, sondern richtig innovativ werden muss. In diesem Projekt zählte dazu definitiv die kniffelige Anforderung nach Asset Delivery für den Offline-Gebrauch. Ob all unsere Überlegungen in die richtige Richtung liefen, konnten wir dankenswerterweise schon in einem sehr frühen Stadium der Entwicklung überprüfen, da das BfM Nutzertests für ebenso wertvoll hält wie wir. So hatten wir von Anfang an Indizien, nicht an den Bedürfnissen und der Denkweise unserer Zielgruppe vorbeizuentwickeln. Nicht nur wir fanden das Projekt großartig, auch das BfM ist rundum zufrieden mit unserer Zusammenarbeit.
„Wir sind froh, in cosee unseren Partner für die gemeinsame Realisierung der Starthilfe-App gefunden zu haben. Im Entwicklungsprozess standen die besonderen Bedürfnisse der Nutzer:innen immer an erster Stelle - Kleinschrittige Erklärungen, individuelle Auswahloptionen und eine Vielzahl spielerischer Übungen. Das Team hat sehr schnell auf unsere Umsetzungswünsche reagiert und uns optimal beraten.“
Volker Löw, Geschäftsführer, Büro für Medienbildung
Seit November 2021 steht die fertige Starthilfe-App im Google Playstore und Apple App Store für Smartphones und Tablets kostenfrei zur Verfügung: www.starthilfe-app.de
Funktionsumfang
Nutzerzentrierte Entwicklung
Individuelle Widgets statt Standard UI-Komponenten verwendet
4 Module mit steigendem Schwierigkeitsgrad
Lern-App mit spielerischem Ansatz: Verschiedene Spiele & ein Belohnungssystem
Asset Delivery für eine Offline-App in Flutter

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